Sense and Sensibility: Die Landschaft als Spiegel der Seele

Eine Standardsituation in den Filmen Ang Lees: Eine der Hauptfiguren schaut, den Rücken der Kamera zugewandt, in die Natur. In diesem Bild ist dies Marianne Dashwood (Kate Winslet) in „Sense and Sensibility“ (Ang Lee, 1995). Und auch wenn wir Mariannes Blick nicht sehen können – die Landschaft, in die sie schaut, legt uns ihr Seelenleben offen. Über die Landschaft erschließen sich uns Zuschauerinnen und Zuschauern Mariannes Emotionen und Gefühle:

Sinn und Sinnlichkeit/Columbia Tristar Home Entertainment (eigener Screenshot)

Die Landschaft, die Marianne als Fluchtpunkt dient, fungiert hier, wie auch in Ang Lees späterem Film „Brokeback Mountain“ (2005), als Idee einer Landschaft. In „Sense and Sensibility“ verkörpern sich Gefühl (sensibility) und Verstand (sense) sowohl im Innenraum des Cottages, das die Familie Dashwood bewohnt, und im Außenraum der sie umgebenden englischen Landschaften, die jeweils als Teil der Figuren fungieren bzw. diese spiegeln. Der englische Landschaftsgarten des 18. Jahrhunderts war geprägt von der Idee der sensibility, er appelliert – im Gegensatz zu den streng geometrisch angelegten Barockgärten als Zeichen des Absolutismus – in seiner naturalistischen Gestaltung an die Sinne. Der englische Garten ist somit eine konstruierte Landschaft, die nur ursprünglich scheint.

Für die lebenshungrige Marianne Dashwood heißt dies, dass sie in ihrem Streben nach Freiheit, dem unbändigen Leben, das sie unter anderem in der scheinbar von Menschenhand unberührten Natur zu finden hofft, doch vergeblich sucht. Der Erwartungshaltung der englischen Gesellschaft, ihre Gefühle im Zaum zu halten, kann sie noch immer nicht gerecht werden. Ihn ihr brodelt es, ihre Emotionen sind so stark, dass sie den gesamten filmischen Raum in Anspruch nehmen. Und doch – am Ende des Films wird sie dem Werben des scheinbar sehr zurückhaltenden, emotionslosen Colonel Christopher Brandon (Alan Rickman) um ihre Hand nachgeben und ihn heiraten. Doch noch einmal bäumt sie sich auf, sucht Flucht in der vermeintlich wilden englischen Landschaft, die von einem Gewitter heimgesucht wird, und lässtdabei ihren Gefühlen ein letztes Mal freien Lauf.

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The Ice Storm: Das Brodeln unter der erstarrten Oberfläche

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