Harold and Maude: Der Ausbruch aus der Symmetrie

Harold (Bud Cort), ein gut gekleideter junger Mann, sitzt mit ausdruckslosem Gesicht auf einem hohen Lehnstuhl und betrachtet eine geladene Pistole in seinen Händen. Wie schon in zuvor gezeigten Szenen wird er gleich einen – vermeintlichen – Selbstmord inszenieren. Dieses film still aus „Harold and Maude“ (Hal Ashby, 1971) vereint verschiedene bemerkenswerte Aspekte:

Harold and Maude/Paramount Pictures (eigener Screenshot)

Wichtig ist zunächst, was sich off frame abspielt. Die Mutter (Vivian Pickles) des jungen Mannes ist damit beschäftigt, den Fragebogen einer Heiratsvermittlung auszufüllen – allerdings nicht für sich, sondern für ihren Sohn. Während Harold seine Waffe lädt, liest sie jede Frage laut vor und gibt die jeweilige Antwort, die allerdings eher ihrer Meinung entspricht als der ihres Sohnes, gleich mit. Harolds Leben soll also einen neuen Lauf nehmen, einen, der ihm von seiner Mutter vorgegeben wird.

Interessant ist in diesem Zusammenhang der Bildaufbau. Wie auch die zuvor von Harold inszenierten Selbsttötungen (und auch seine psychologischen Sitzungen) ist der Aufbau absolut symmetrisch. Harold sitzt genau in der Mitte des Bilds, flankiert von zwei geöffneten Türflügeln und Gemälden links und rechts von seinem Kopf. Harolds dramatisch inszenierte Selbstmordversuche brechen sowohl die Versuche seiner Mutter, Kontrolle über das Leben ihres Sohnes zu haben, als auch diese Symmetrie und damit auch die Eintönigkeit seines Alltags auf. Im inszenierten Morbiden – der Besuch von Beerdigungen ist seine zweite Lieblingsbeschäftigung – findet Harold einen Gegenpol zu seinem von der Mutter choreografierten Leben daheim.

Was sich in diesem Bild ebenfalls bereits andeutet: Am Ende des Films wird der Tod tatsächlich in sein Leben einbrechen – aus Harolds Hang zum Morbiden wird Ernst. Ausgerechnet auf einer Beerdigung wird Harold Maude (Ruth Gordon) kennenlernen, eine lebenslustige 79-jährige Frau, die Harold mit ihrem exzentrischen, unkonventionellen Lebensstil verzaubert. Doch an ihrem 80. Geburtstag wird sie Selbstmord begehen – die Symmetrie in Harolds Leben, die schon zuvor ins Wanken gekommen ist, wird durch diesen echten Suizid nun komplett zerstört. Eine bittere Ironie: Die inszenierten Selbstmorde waren Harolds Ausbruchsversuch; der – reale – Selbstmord seiner Geliebten ermöglicht ihm nun endgültig ein neues Leben.

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